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Geschlechterungleichheiten und Fertilität
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Das Geschlecht ist mehr als ein Attribut, das Individuen anhand ihres biologischen Geschlechts unterscheidet. Geschlecht durchdringt soziale Institutionen wie die Familie, den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt. Obwohl geschlechtsspezifische Ungleichheiten in formellen Institutionen wie Gesetzen weniger sichtbar geworden sind, bleiben sie in gegenwärtigen Gesellschaften verankert. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten manifestieren sich in ungleichen Chancen und Beschränkungen, die an die sozial konstruierten Rollen von Frauen und Männern geknüpt sind. Dennoch tendieren Demographen dazu, Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu vernachlässigen, wenn sie sich mit Unterschieden im biologischen Geschlecht befassen.
Das Übersehen von Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern behindert den Erkenntnisfortschritt, der aus der demografischen Forschung zu den Determinanten und Folgen demografischer Prozesse, die dem gegenwärtigen Familienwandel in Europa und dem globalen Norden zugrunde liegen, generiert werden könnte. Die Fruchtbarkeit sinkt weiterhin auf ein Rekordtief, auch in Ländern mit hoher Geschlechtergleichstellung und starker wohlfahrtsstaatlicher Unterstützung für Familien. Geburten werden aufgeschoben oder unterlassen und Kinder werden heutzutage in einer Vielzahl von Beziehungsarten und nicht selten mit aufeinanderfolgenden reproduktiven Partnern geboren. Institutionen, die lange Zeit die Rollen von Frauen und Männern untereinander und in der Gesellschaft klar strukturiert haben – wie die Ehe – haben ihre gesellschaftliche Hegemonie im Leben vieler Menschen verloren. Familie wird auf vielfältige Weise gelebt. Das komplexe Zusammenspiel von Geburten- und Partnerschaftsverhalten in modernen Gesellschaften wirkt sich unterschiedlich auf die Lebensverläufe von Frauen und Männern aus. Bei der Untersuchung von Individuen, ihren Partnern und Kindern in einer Ära gestiegener Komplexität von Familie fokussiert die demografische Forschung jedoch immer noch vorrangig auf Frauen.
Die von der Max-Planck-Gesellschaft geförderte Forschungsgruppe zu Geschlechterungleichheiten und Fertilität forscht, um das Teilgebiet der Familiendemografie und die Erforschung von Geschlechterungleichheiten voranzubringen. Die Gruppe bezieht Geschlechterungleichheiten systematisch in die Fertilitätsanalyse ein und zeigt auf, wie und unter welchen Bedingungen Geschlechterungleichheiten innerhalb von Individuen, Paaren und Familien und den sozialen Institutionen, in die sie eingebettet sind, produziert und reproduziert werden.
Die Gruppe hat drei Hauptziele:
• Geschlechterungleichheiten in den Fokus der Familiendemographie zu rücken, indem die Erklärungsmechanismen identifiziert werden, die geschlechtsspezifische Ungleichheiten, demographische Trends und den daraus folgenden Familienwandel zu familiären Veränderungen in einen Zusammenhang bringen.
• die normativen Grundlagen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in ihrem Einfluss auf geschlechtsspezifische Einstellungen zu untersuchen, wie sie Unterschiede in der Bedeutung gleichen (demografischen) Verhaltens nach sich ziehen.
• Weiterentwicklung der demografischen Theorien zu Partnerschafts- und Geburtenverhalten, indem disziplinäre Grenzen überschritten und Theorien der geschlechtsspezifischen Ungleichheit in die demografische Forschung integriert werden.
Das Aufsetzen einer „Gender-Brille“ auf die Untersuchung von Determinanten und Konsequenzen der von Geburten- und Partnerschaftsverhalten stellt eine innovative und dringende Forschungsagenda dar. Die Forschungsaktivitäten der Gruppe werden in vier komplementären Forschungsprojekten durchgeführt: (1) Die normativen Grundlagen von Geschlechterungleichheiten, (2) Komplexe Familien und die Reproduktion von Geschlechterungleichheiten durch Elternschaft und (3) Geschlechterungleichheiten im Familienverlauf.