17. Juli 2024 | News | Video

Sharing is Caring – Open Science in der demografischen Forschung

Open Science ist eine Reaktion auf Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Forschung und gewinnt in verschiedenen Bereichen an Bedeutung. Die Studie von Ugofilippo Basellini untersucht den Stand der Offenheit in der demografischen Forschung und stellt fest, dass es zwar erhebliche Fortschritte beim offenen Zugang, nicht aber bei der Verfügbarkeit von offenem Softwarecode gibt. Die Studie unterstreicht die Bedeutung der gemeinsamen Nutzung von Software-Code für die Weiterentwicklung des Fachgebiets und gibt Empfehlungen zur Förderung dieser Praxis. Basellini plädiert für eine Kultur der Offenheit und betont die Notwendigkeit von unterstützendem Feedback, Anreizen und Ausbildung, um die gemeinsame Nutzung von Code zu fördern.

In Englisch. 

Hier gelangen Sie zum Youtube-Video mit englischen Untertiteln.

Als Reaktion auf die wachsende Besorgnis über die Verlässlichkeit wissenschaftlicher Forschung hat Open Science in verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Wirtschaft, zwischenstaatlichen Organisationen, Medien und Öffentlichkeit erheblich an Dynamik gewonnen. Ugofilippo Basellini ist Forscher und stellvertretender Leiter der Abteilung Bevölkerungsdynamik und nachhaltiges Wohlbefinden am Max-Planck-Institut für demografische Forschung. In seinem aktuellen Paper beleuchtet er die Offenheit in der demografischen Forschung und zeigt sowohl Fortschritte als auch verbesserungswürdige Bereiche auf.

Für die Studie wurden alle relevanten Publikationen der vergangenen zehn Jahre in vier führenden demografischen Fachzeitschriften ausgewertet: Demography, Population and Development Review, Population Studies und Demographic Research. Mit Hilfe eines Textsuchalgorithmus ermittelte Basellini zwei Schlüsselindikatoren für offen verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse: den Anteil der frei zugänglichen Publikationen und den Anteil der Publikationen, die offene Software-Codes zur Reproduzierbarkeit bereitstellen.

Seine Ergebnisse zeigen, dass die Zugänglichkeit der demografischen Forschung deutlich zunimmt und dass bis 2023 mehr als 90 % der Publikationen frei zugänglich waren. Die Verfügbarkeit offener Software-Codes ist jedoch nach wie vor gering und zeigt nur minimale Verbesserungen. Während die Demographic Research mit durchschnittlich 31% der Artikel, die solche Materialien zur Verfügung stellen, führend ist, liegen die anderen Zeitschriften mit durchschnittlich nur etwa 12% deutlich zurück.

Diese Studie ist die erste umfassende Bewertung der Open-Science-Praktiken in der demografischen Forschung in den vergangenen zehn Jahren und unterstreicht die Notwendigkeit größerer Anstrengungen bei der gemeinsamen Nutzung von Softwarecodes und Daten, um das Feld voranzubringen. Die Autoren unterbreiten eine Reihe von Empfehlungen, um diesen grundlegenden Wandel voranzutreiben.

Interview mit Ugofilippo Basellini über Open Science

(Transkript des Videos)

Was ist Open Science?
Open Science hat für verschiedene Menschen eine unterschiedliche Bedeutung. Für die einen ist es der offene, freie Zugang zu wissenschaftlicher Forschung. Für andere ist es die öffentliche Bereitstellung von Daten und Softwarecodes. Und für wieder andere ist es die Beteiligung von Nicht-Wissenschaftlern am wissenschaftlichen Prozess. In Anerkennung der Notwendigkeit einer gemeinsamen Definition hat die UNESCO im Jahr 2021 die erste international vereinbarte Definition von Open Science verabschiedet, d.h. Open Science ist eine Reihe von Prinzipien und Praktiken, die darauf abzielen, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Nutzen von Wissenschaft und Gesellschaft für jedermann zugänglich und wiederverwendbar zu machen.

Warum ist es Deiner Meinung nach wichtig, Wissen zu teilen?
Ich denke, je mehr Wissen zirkulieren kann, desto mehr Möglichkeiten haben die Menschen, dieses Wissen kennen zu lernen, es zu nutzen und auch zu seiner Entwicklung beizutragen. Leider ist auch heute noch viel wissenschaftliches Wissen nur gegen Bezahlung erhältlich. Das ist ein echtes Hindernis für die Verbreitung von Wissen, vor allem für Menschen in benachteiligten Ländern und Institutionen, was Ungleichheiten verstärkt und dem wissenschaftlichen Fortschritt abträglich ist.

Was genau hast Du in deiner Studie untersucht?
Als Demograf war ich sehr daran interessiert, zwei Dinge zu untersuchen. Erstens war ich neugierig, wie zugänglich und offen die demografische Forschung wirklich ist. Zweitens wollte ich wissen, wie offen die Bausteine unserer Disziplin sind. Insbesondere Demografen verbringen viel Zeit damit, demografische Daten zu analysieren, und die zu diesem Zweck entwickelten Softwarecodes sind ein wirklich wichtiges wissenschaftliches Ergebnis. Diese Codes ermöglichen es anderen Forschern, die veröffentlichten Ergebnisse zu überprüfen, zu replizieren und zu verallgemeinern, und tragen so zur Weiterentwicklung der Disziplin bei. Deshalb war ich neugierig, wie zugänglich und offen diese Software-Codes sind.

Wie bist Du vorgegangen?
Ich habe etwa 3.000 Artikel heruntergeladen, die in den vergangenen zehn Jahren in vier führenden demografischen Fachzeitschriften erschienen sind. Dann habe ich einen Algorithmus für die Textsuche entwickelt, mit dem ich für jeden dieser Artikel herausfinden konnte, ob es sich um einen Open-Access-Artikel handelt, das heißt, ob er für jeden, der über einen Internetanschluss verfügt, frei zugänglich ist, und ob die Autoren des Artikels die Software-Codes, die sie für ihre Analysen entwickelt haben, öffentlich zugänglich gemacht haben.

Was hast Du herausgefunden?
Bei der Analyse dieser beiden Indikatoren für den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen im Zeitverlauf habe ich zwei gegenläufige Trends festgestellt. Auf der einen Seite werden demografische Forschungspublikationen zunehmend für jedermann zugänglich, so dass im Jahr 2023 mehr als 90 % der Arbeiten Open Access veröffentlicht wurden. Auf der anderen Seite ist die Bereitstellung von Softwarecodes nach wie vor sehr gering, mit einem Anteil von 10 bis 30 % im Jahr 2023 in verschiedenen Zeitschriften, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend im Laufe der Zeit verbessern wird.

Wie offen ist die Wissenschaft in der Demografie und was muss verbessert werden?
Ich denke, dass wir uns zwar in die richtige Richtung bewegen, was das offene Publizieren angeht, dass wir als Disziplin aber noch mehr tun könnten, um unsere Software-Codes offen zu legen. Das wäre nicht nur für andere Forscher*innen von großem Nutzen, sondern würde auch eine schnellere Entwicklung unserer Disziplin ermöglichen. Oft wird der Code nicht weitergegeben, weil es an Vertrauen oder Anreizen mangelt oder weil man Angst hat, kritisch beäugt zu werden. Ich denke, wir sollten versuchen, dies zu ändern, indem wir zum Beispiel mehr ermutigendes und unterstützendes Feedback und Kommentare an diejenigen geben, die sich entscheiden, ihren Code und ihre Arbeit mit anderen zu teilen, indem wir mehr Trainingsmöglichkeiten, insbesondere für junge Forscher*innen, anbieten, indem wir mehr Anreize für das Teilen von Code schaffen und indem wir schließlich versuchen, eine Kultur zu entwickeln, in der das Teilen eher die Norm als die Ausnahme ist. Sharing is caring, und ich denke, wir alle können unseren kleinen Beitrag zu diesem Prozess leisten.

Originalpublikation

Basellini, Ugofilippo: "Open science practices in demographic research: an appraisal" in Demographic Research (2024).
DOI: 10.4054/DemRes.2024.50.43

Keywords

Open Access Data, Demografie, frei zugängliche Daten, Bevölkerungsstudien, Replizierbarkeit, Reproduzierbarkeit, open science

Kontakt

Leiterin des Arbeitsbereichs Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen

Silvia Leek

E-Mail

+49 381 2081-143

Redakteurin Wissenschaftskommunikation

Silke Schulz

E-Mail

+49 381 2081-153

Was nun?

Zur Startseite

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock ist eines der international führenden Zentren für Bevölkerungswissenschaft. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.