15. Januar 2019 | Pressemitteilung
Künstliche Befruchtung erhöht Geburtsrisiken nicht
Anders als bisher geglaubt erhöht eine künstliche Befruchtung nicht das Risiko einer Frühgeburt oder von niedrigem Geburtsgewicht. Paare mit unerfülltem Kinderwunsch können davon unbelastet über eine Behandlung entscheiden.
© iStockphoto.com / rez-art
Rostock. Wer Schwierigkeiten mit der natürlichen Empfängnis hat, und eine künstliche Befruchtung erwog, musste bisher befürchten, dadurch seinem Baby zu schaden. Denn Ärzte warnen häufig davor, dass der medizinische Eingriff das Risiko für niedriges Geburtsgewicht (weniger als 2.500 Gramm) oder eine Frühgeburt (vor der 37. Schwangerschaftswoche) steigert.
Für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch macht das die Entscheidung hart. Denn Frühgeborene und Kinder mit geringem Geburtsgewicht haben häufiger Atembeschwerden oder Herzprobleme, und die Entwicklung des Gehirns und der kognitiven Fähigkeiten kann beeinträchtigt sein.
Tatsächlich steigen diese Geburtsrisiken jedoch nicht durch die Kinderwunschbehandlung, wie eine Studie im Fachjournal The Lancet erstmals belegt. Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock hatten zusammen mit Forscher*innen der London School of Economics und der Universität Helsinki eine große Zahl finnischer Geschwister analysiert und dabei – anders als in älteren Veröffentlichungen anderer Forscher*innen – keine Erhöhung der Risiken mehr gefunden.
Entscheidung befreit von Angst vor zusätzlichem Risiko
„Paare mit bisher unerfülltem Kinderwunsch müssen sich nicht mehr gegen eine künstliche Befruchtung entscheiden, weil sie dadurch vermeintlich die Geburtsrisiken für ihr Kind erhöhen“, sagt Mikko Myrskylä, Autor der Studie und MPIDR-Direktor.
Der Demograf weist darauf hin, dass Kinder, die nach künstlicher Befruchtung geboren werden, dennoch ein höheres Risiko für niedriges Geburtsgewicht und Frühgeburt haben als Babys, die auf natürlichem Weg gezeugt wurden. Dieses erhöhte Risiko entstehe jedoch nicht durch den medizinischen Eingriff. Paare mit Empfängnisproblemen sind ihm generell ausgesetzt – unabhängig von ihrer Entscheidung für oder gegen eine Kinderwunschbehandlung.
Die Gründe für dieses per se erhöhte Risiko sind nicht genau bekannt. „Vermutlich spielt die reduzierte Fruchtbarkeit selbst eine Rolle“, sagt Alice Goisis, MPIDR-Mitautorin der Studie. Auch wenn dieses ohnehin vorhandene gesteigerte Risiko für die Paare belastend sei, so mache das Ergebnis der Lancet-Studie doch einen großen Unterschied für sie: „Bei der Entscheidung für eine künstliche Befruchtung muss nun niemand mehr das Gefühl haben, damit willentlich die Gesundheit des Kindes zusätzlich zu gefährden“, sagt die Forscherin.
Es spiele psychisch eine große Rolle für betroffene Paare, ob sie für ihre Kinder ein erhöhtes Risiko in Kauf nehmen müssen, an dem sie ohnehin nichts ändern können, oder ob sie die Gefahr für ihre Kinder willentlich steigern. Letzteres tun sie durch eine Entscheidung für medizinische Befruchtung nämlich nicht.
Die Abwägung dafür oder dagegen könne nun unbelastet und sozusagen „ohne schlechtes Gewissen“ getroffen werden. Das dürfte eine Erleichterung für viele sein: In Deutschland unterzogen sich im Jahr 2016 mehr als 63.000 Frauen einer künstlichen Befruchtung (Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung).
Vergleich von Geschwistern bringt eindeutige Ergebnisse
Auch in der Vergangenheit hatten Studien versucht, das Risiko durch künstliche Befruchtung festzustellen. Da sie oft mit unausgewogenen statistischen Methoden und auf Grundlage weniger Geburten rechneten, unterschieden sich die Ergebnisse stark und waren mit großen Unsicherheiten behaftet. Zum Teil ergaben sich stark erhöhte Geburtsrisiken.
Myrskylä und seine Forscherkolleg*innen nutzten für ihre Untersuchung nun Daten einer bisher unerreicht großen Anzahl an Geburten aus Finnland. Aus über 65.000 in den Jahren 1995 bis 2000 geborenen Kindern wählten sie 1.245 Geschwister aus, von denen jeweils mindestens eins natürlich und eins künstlich gezeugt worden war.
Da die Eltern sich von einer Geburt zur nächsten kaum verändert hatten, erlaubte der Vergleich der Geschwister die Geburtsrisiken allein mit Blick auf den Eingriff der künstlichen Befruchtung zu unterscheiden. Denn dieser war der einzige wesentliche Unterschied zwischen den Geburten.
Im Ergebnis verschwanden die zusätzlichen Risiken durch künstliche Befruchtung sowohl für niedriges Geburtsgewicht als auch für Frühgeburt.
Datenlage für eindeutige Ursachenforschung oft zu schlecht
Die von den Forschern angewandte „Geschwister-Methode“ ist ein an sich bekanntes Verfahren, um Ursachen für gesundheitliche Risiken verlässlich zu bestätigen oder auszuschließen. Meistens fehlen jedoch ausreichende Daten über Geschwister dazu. Die staatlichen Register Finnlands sind eine der wenigen Ausnahmen. Sie machen Forschern nicht nur Angaben zu Geburtsdatum, Eltern und Geschwistern für jedes geborene Kind zugänglich, sondern auch zu Geburtsgewicht und Schwangerschaftsdauer.
In Deutschland gibt es entsprechend verknüpfte staatliche Daten nicht. Die Lancet-Studie der Forscher*innen wäre für Eltern in Deutschland nicht möglich gewesen.
Über das MPIDR
Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock untersucht die Struktur und Dynamik von Populationen. Die Wissenschaftler*innen des Instituts erforschen politikrelevante Themen wie den demografischen Wandel, Altern, Geburtendynamik und die Verteilung der Arbeitszeit über die Lebensspanne, genauso wie den digitalen Wandel und die Nutzbarmachung neuer Datenquellen für die Erforschung von Migrationsströmen. Das MPIDR ist eine der größten demografischen Forschungseinrichtungen in Europa und zählt international zu den Spitzeninstituten in dieser Disziplin. Es gehört der Max-Planck-Gesellschaft an, der weltweit renommierten deutschen Forschungsgemeinschaft.
Original-Publikation
Goisis, A., H. Remes, P. Martikainen, R. Klemetti und M. Myrskylä: Medically assisted reproduction and adverse birth outcomes: have the risks been overestimated? The Lancet [Zuerst online veröffentlicht: 14. Januar 2019]. Doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31863-4
Kontakt
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit